Café Profittlich: Die gastronomische Zeitmaschine
oder: Warum Hertie eine Ecke weiter gebaut werden musste...

Das Café Profittlich hatte die besten Anlagen, der einzig gültige Treffpunkt für ganze Pennälergenerationen zu sein. Strategisch günstige Lage zu Mädchengymnasium, Buschmannshof und Wiese, großer Gastraum mit reichlich Tischen und Nischen sowie relativ akzeptable Preise. Allein, es sollte über Jahrzehnte nicht sein, die Geschäftspolitik der Inhaber war verschroben und nicht sehr jugendfreundlich. Also gingen die Cola-Jungs und die Milchshake-Mädels ins benachbarte Nevegal. Die Härteren traf man im Union, da gab’s Flipper, Kicker und Bier.

Das Café mit dem komischen Namen: Die “i”s wurden im Sprachgebrauch der Schüler oft durch “o”s ersetzt.

Noch in den achtziger Jahren konnte man im Café Profittlich die ultimative Zeitreise unternehmen. Das Zwanziger-Jahre-Mobiliar, die vergilbten Tapeten, angestaubten Vorhänge, Tischsets, Lampen und Accessoires hatten wie in einem Museum die Zeit überdauert. Mit dem feinen Unterschied, dass in einem Museum gelegentlich sauber gemacht wird. Dennoch: Das schräge Ambiente war mindestens einen Besuch wert.

Die mit Staub und Nikotin vollgesogenen Gardinen filterten das Tageslicht gnädig – auf einen flüchtigen Blick wirkte das Café Profittlich äußerst charmant. Wer sich allerdings niederließ und sogar noch etwas zu bestellen wagte, musste hart im Nehmen sein. Was man dem Halben Hahn immer angedichtet hatte – für Profittlich traf es zu: Siff ohne Ende. Angetrocknete Kakao-Reste vom Vorgänger an der Tasse, fremder Lippenstift am Glas oder undefinierbare Speisereste an der Kuchengabel gehörten bei Profittlich einfach dazu.

Die Geschwister Profittlich Mitte der 1980er, fotografiert von Stefan Moses.

Das Kuchen- und Tortenangebot war gut gemeint. Zumindest von Konditormeister Karl-Heinz Profittlich, der durchaus etwas von seinem Fach verstand. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er auch spätestens am nächsten Tag die nicht verzehrten Kuchen und Tortenreste aus der Auslage entfernt und frisches Back- und Zuckerwerk feilgeboten. Was aber nicht den kaufmännischen Grundsätzen seiner Schwester Hildegard entsprach, die auf einen restlosen Verkauf und Verzehr jeglicher Süßspeise bestand. Zum Leidwesen des braven Konditors wurden den wehrlosen Gästen dann auch Kuchen und Torten gereicht, die das Haltbarkeitsdatum deutlich überschritten hatten. Reklamationen beantwortete Hildegard Profittlich dann ebenso mürrisch, wie sie die gesamte Bewirtung gestaltete. Überhaupt hatten Reklamationen wenig Sinn – zum Beispiel, wenn die gesamte Auswahl sowieso nur noch aus zwei halben Torten bestand.
Auch bei den Getränken war Vorsicht geboten. Die sicherste Wahl waren Kaltgetränke, die in Flaschen serviert wurden. Man musste das Glas ja nicht nehmen...

Im Café herrschte Fotografierverbot. Die Profittlichs selbst ließen sich nur ein einziges Mal freiwillig ablichten, von Stefan Moses für den tollen Fotoband „24 Stunden Ruhrgebiet“. Obwohl die beiden Alten sogar Geschichte schrieben.

Als Ende der sechziger Jahre der Kaufhauskonzern Hertie seine Wanne-Eickeler Invasion vorbereitete, sollte der Einkaufsbunker ursprünglich an der Ecke Hauptstraße/Overhofstraße gebaut werden, wozu allerdings auch das Haus der Profittlichs dem Kaufhaus hätte weichen müssen. Die Geschwister widerstanden aber allen Kaufangeboten. Als die Hertie-Manager dem Konditormeister sogar die Leitung der Kaufhaus-Cafeteria anboten, wäre Karl-Heinz fast schwach geworden. Wenn er, wie so häufig in seinem Leben, nicht wieder einen schwesterlichen Tritt vors Schienenbein bekommen hätte.

Café Profittlich blieb Café Profittlich, Hertie baute eine Ecke weiter und Karl-Heinz seufzte so manches Mal, wenn seine Schwester außer Hörweite war, dass es 1970 doch wohl besser gewesen wäre, den Laden zu verkaufen und sich zur Ruhe zu setzen. Das Café erlebte noch das Ende von Hertie. Anfang der Neunziger starb Karl-Heinz, seine Schwester Hildegard zog in ein Altenheim. Das Haus stand einige Jahre baufällig herum. Mittlerweile ist es renoviert - das einzigartige Profittlich-Flair, über 70 Jahre aus Wanne-Eickel nicht wegzudenken, ist nur noch Erinnerung.

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